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Jonas Lovis Kemmler

Foto: Susanne Sigl

Wann bist du mit der Schule fertig geworden, Jonas?
2015? 2016? Da muss ich immer überlegen, wegen der Ehren-
runde. Ich hab beim Abi zwei Anläufe gehabt ...


Bist du gern zur Schule gegangen?
Ja, auf jeden Fall. Das Leben in der Schule war unbeschwert und
einfach. Außer in der 5. Klasse, da war ich noch auf dem Gymna-
sium und das lief nicht so gut. Aber ich hatte da eine Lehrerin,
die war zuvor mal Waldorflehrerin gewesen und meinte, das
könnte etwas für mich sein.


Wie waren deine ersten Eindrücke an der FWS?
Nach dem Wechsel war alles sehr anders. Eurythmie war an-
fangs natürlich neu und für mich unverständlich ... Bis ich ge-
merkt habe, dass es mir super viel im Schauspiel hilft. Die Büh-
ne war beeindruckend, vor allem bei den Theaterstücken oder
Monatsfeiern. Sowas macht man ja viel weniger auf den staatli-
chen Schulen. Die Schulglocke wurde gerade fertiggestellt, was
ich super cool fand – so 'ne richtige Glocke mitten auf dem
Schulhof! Auch Gartenbau war total interessant, obwohl ich es
zuerst einfach nur lustig fand, im Unterricht in einem Garten zu
sein und quasi auf dem Zeugnis eine Rückmeldung dafür zu krie-
gen, wie ich Unkraut jäte. Häkeln dagegen hatte ich in der Grund-
schule auch schon gehabt und gemocht. Schmieden und Schrei-
nern war ganz neu - sowas, was man selbst gemacht hat und
auch benutzen kann, mit nach Hause zu bringen, war schon sehr
cool, z.B. Salatbesteck, geschmiedete Löffel, Kupferschalen etc.


Wie blickst du heute auf deine Schulzeit zurück? Wie war
dein Lebensgefühl als Schüler?
Hm ... ich würde sagen „eindrucks-voll“, also, voll von Eindrü-
cken, die ich bekommen habe. Du wachst morgens auf und
weißt, du wirst irgendetwas Neues erfahren. Ich bin mit Aben-
teuerlust in die Schule gegangen. Als ich kürzlich beim Sommer-
fest war, war da auch wieder dieser besondere Geruch, der mich
daran erinnert hat. Und es gibt immer so viele Eindrücke, schon
allein im Innenhof. Aber auch im Schulgebäude – die vielen Bil-
der, die überall hängen, und alles andere.


Wusstest du in der Schulzeit schon, was du einmal be-
ruflich machen möchtest? Und gab es Vorbilder für dich
während der Schulzeit?
Ich habe von Klein auf geschauspielert und wollte immer in die
künstlerische Richtung gehen. Das habe ich auch lange verfolgt,
aber es ist dann nach und nach mehr in die Musik rüberge-
rutscht. Ich hatte nie ein konkretes Vorbild. Das Konzept hat
sich mir nie erschlossen, wie jemand anderes sein zu wollen.
Inspiration gab es aber schon, nämlich in der Musik: Da war ich
durch meinen Vater (Komponist für Werbefilme, Computerspiele,
aber auch im klassischen Bereich) beeinflusst. Hans Zimmer
fand ich toll, seine Musik ist tiefgehend und berührend. Ich woll-
te auch gerne Musik machen, die nicht zu kommerziell, aber gut
„hörbar“ ist und eine persönliche Note hat.


Was war das Beste daran, mit der Schule fertig zu sein?
(Überlegt) Das Gefühl, endlich fertig zu sein. Den Zettel in der
Hand, dass du es bestanden hast (ohne Nachprüfung). Endlich
frei zu sein. Ich wollte wissen, wie sich diese Freiheit anfühlt,
und konnte dann wirklich feststellen: Du kommst in ein anderes
Denken, weil du dich nicht mehr auf etwas konzentrieren musst,
was in naher Zukunft passieren wird (Abi). Du kannst in dieser
Zeit kaum weiterdenken als bis zur Prüfung. Und dann öffnet
sich dein Blick plötzlich für alles, was du machen kannst. Und
das mehr oder weniger ohne Begrenzung. Eine sehr interessante
Erfahrung. Ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass ich das ma-
chen kann, was ICH möchte, ohne dass mir irgendjemand dabei
reinredet. Ich hätte alles machen können: nach Mexiko reisen,
Jura studieren oder was auch immer ... Dieses Privileg zu haben
fühlte sich sehr schön an.


Hattest du einen Plan, wie es nach dem Schulabschluss
weitergeht? Oder hast du dich treiben lassen?
Ich war im Sommer erst mal ein bisschen reisen in Europa. Dann
habe ich mich an einer Schauspielschule beworben. Aber ich
war einfach nicht gut genug vorbereitet und wurde dann auch
nicht genommen. Also habe ich mit meinem Plan B ein Geografie-
studium angefangen. Gleichzeitig bin ich mit meiner Band „Ali-
nea“ durchgestartet. Alle Bandmitglieder hatten gerade ihren
Schulabschluss fertig und wollten ernst machen mit der Musik.
Und das beides hat mir dann doch viel Spaß gemacht, und so
habe ich mich nicht noch mal beworben an der Schauspielschule,
sondern habe mich stattdessen viel mit digitaler Software aus-
einandergesetzt und gelernt, selbst Musik zu produzieren, paral-
lel zum Studium. Ich war immer einen halben Tag an der Uni und
die andere Hälfte habe ich Musik gemacht und dann noch als
Bedienung gejobbt. War ne ziemlich intensive Zeit ...
Inzwischen hab' ich mein eigenes Musik-Label „Thisisart“
(Das hier ist Kunst) gegründet: Viele Künstler wissen nicht, wie
sie ihre Kunst in die Welt bringen können, und geben irgend-
wann auf. Ich möchte diesen Künstlern helfen, sodass sie nicht
daran scheitern und sich stattdessen auf die Kunst konzentrieren
können.


Was machst du jetzt?
Ich bin neuerdings bei einem recht bekannten Musikinstrumen-
tenhersteller als Produktmanager angestellt, der Betrieb ist aber
eher familiär. Wir verkaufen auch nach Holland, Frankreich, Dä-
nemark und in andere europäische Länder. Es ist eine ziemlich
begehrte Stelle, ich hatte großes Glück. Wir haben circa 50.000
Produkte im Sortiment und 30.000 davon sind auch online er-
hältlich. Ich überlege mir, wie das Sortiment aussehen soll, und
versuche Trends zu analysieren, um unser Angebot anzupassen.
Ich kaufe bestimmte Produkte ein und entscheide auch wie viele.
Dabei gibt es natürlich ein gewisses Risiko, weil sich einige Dinge
manchmal nicht verkaufen, und man versucht natürlich auch,
Gewinn damit zu machen. Ich pflege die Kontakte zu den Her-
stellern und Lieferanten. Ich kümmere mich auch darum, welche
Produkte im Marketing beworben werden und entscheide da-
durch mit, wofür wir stehen, gemäß der Frage: Was ist unser
Image? Musik macht mir seit der Kindheit Spaß, und hier komme
ich mit unglaublich vielen Instrumenten in Kontakt, die noch
nicht auf dem Markt sind und die mich begeistern. Das macht
mir unglaublich viel Freude. Wir haben insgesamt ungefähr 100
Mitarbeiter, ich selbst bin aber in einem kleinen Team von circa
fünf Leuten. Wir entwerfen Strategien und planen, wohin die Rei-
se geht. Der Älteste in unserem Team ist Mitte 50, ich bin der
Jüngste.


Was würdest du deinem 18-jährigen Selbst raten?
Das, was man hat, und da, wo man steht, nicht als selbstver-
ständlich zu nehmen, sondern es als Privileg zu erachten, einen
Schulabschluss machen und studieren oder eine Ausbildung
machen zu können. Es ist etwas Besonderes, dass die Welt für
dich offen steht, weil es in anderen Regionen der Welt oft nicht
so ist. Ich glaube, dass es förderlich sein kann, wenn man sich
das immer mal wieder vor Augen führt. Und auch zu schätzen,
was du liebst und was du tust, und den Mehrwert in allem zu
erkennen, was du machst.

 


Info
Jonas Lovis Kemmler wurde mit seinem zweiten Vornamen
nach dem impressionistischen Maler Lovis Korinth benannt.
Lovis ist eine Kurzform von Ludwig.
Hans Zimmer: Hans Florian Zimmer ist ein in Frankfurt
geborener deutscher Filmkomponist, Arrangeur und Musikpro-
duzent. Er arbeitet in Hollywood, wo er seit über 30 Jahren sehr
erfolgreich ist. Zimmer wurde 2018 mit dem Bundesverdienst-
kreuz erster Klasse ausgezeichnet.


Text: Alexa Pirich