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Johannes und Peter Reidl

Johannes und Peter Reidl haben ihre Berufung gefunden

Reidl Orthopädietechnik kennt man heute in Landsberg. Die Brüder Peter und Johannes Reidl haben die Firma im April 2010 in Penzing gegründet. Die beiden ehemaligen Schüler der Waldorfschule Landsberg wurden noch am Ursprungsort unserer Schule eingeschult, in Schondorf. Beim Neubau der Schule in Landsberg werkelte die Familie kräftig mit: Mutter Luise Reidl war unter anderem im Bauausschuss aktiv. Die Söhne Peter und Johannes erinnern sich noch gut an die Anfangszeit: „Wir haben unter anderem die Dächer der heutigen Werkräume isoliert“. Heute haben beide ihren Meisterbrief der Orthopädietechnik in der Tasche. Dass diese Arbeit Spaß macht und nicht nur Beruf, sondern Berufung ist, wird im Gespräch sofort klar. Peter und Johannes haben die Schule mit der Mittleren Reife abgeschlossen. An ihre Schulzeit erinnern sie sich sehr gern. Sibylle Reiter hat die beiden gefragt, wie ihr Weg danach verlaufen ist.


Gab es für Euch so etwas wie ein Erweckungserlebnis, in die Orthopädietechnik einzusteigen?
Johannes:

Ich habe zunächst eine Ausbildung zum Chemielaboranten (LTA) gemacht und danach Zivildienst in einer integrativen Kindergartengruppe. Ich habe dann überlegt, Forstwirt zu werden. Irgendwie hat sich da aber nicht das Richtige ergeben. Ich habe aber immer gesehen, was der Peter macht. Sein Weg in die Orthopädietechnik hat mich interessiert. Gefallen hat mir, dass dieser Beruf so kreativ ist und es kein Schema gibt. Bei Spezialanfertigungen muss man sich immer am Körper des Patienten orientieren und sehr intuitiv arbeiten. Das fand ich spannend und so habe ich mich entschlossen, auch diesen Weg einzuschlagen.
Peter:

Für mich war die Entscheidung für einen Beruf zunächst schwierig, denn ich hatte einfach an allem Interesse. Aufgrund meiner Praktika an der Waldorfschule wusste ich aber, dass es etwas Handwerkliches und etwas Soziales sein musste. Ich informierte mich beim Arbeitsamt, wo ich ein kleines Buch mit allen Berufen bekam. Über die Fragestellung: „Kann ich mir vorstellen, diese Arbeit mein ganzes Leben lang zu machen?“ kristallisierten sich die Berufe Hörgeräteakustiker und Orthopädietechniker heraus. Letzteres ist meiner Meinung nach vielseitiger, die gebauten Hilfsmittel sind auch nicht immer so klein, es steckt hier sehr viel eigene Entwicklungsarbeit drin und ich bin im Dialog mit dem Anwender, dem Patienten. In unserer Firma haben wir den Schwerpunkt auf Spezialanfertigungen gesetzt, denn hier können wir uns immer wieder Neues ausdenken, Materialien kombinieren, intuitiv arbeiten; auch Kommunikation spielt eine große Rolle.

Wie verlief Euer Weg in den Beruf genau?
Johannes:

Wir haben beide eine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker gemacht, in einem Sanitätshaus in Haar. Zuerst war Peter in dieser Firma. Da er gute Vorarbeit geleistet hat, haben sie mich dann auch genommen☺.
Peter:

Die Meisterschule haben wir dann in Landshut gemacht. Die Praktika aus dem Waldorfsystem haben uns immer sehr geholfen. Die wirken lange nach! Man tut sich einfach viel leichter mit allem, denn wir kannten schon die Arbeit mit verschiedensten Materialien und Werkzeugen. Gipsmodelle, Silikon, Leder, Stahl, Carbon, vieles davon hatten wir ja schon in der Schulzeit kennengelernt. Auch Nähen, das ist in unserem Beruf übrigens auch wichtig.
Johannes:

Und die Sozialpraktika helfen uns beim Umgang mit den Patienten und Kunden. Wir sind ja manchmal auch sowas wie Psychologen. Während ich noch in der Ausbildung war, hat der Peter in der Prothetik-Entwicklung gearbeitet und schon international Erfahrung gesammelt: Er war in der ganzen Welt unterwegs, gab Schulungen in China, Südafrika, Thailand, den USA, hat eine Schulungswerkstatt in Florida aufgebaut und in Bogota Bürgerkriegsopfer in einem Militärkrankenhaus versorgt.
Peter:

Letztendlich hatten wir aber immer den Wunsch, unser eigenes Ding zu machen. Aber wir hatten kein Startkapital. Als wir hörten, dass in Bamberg eine komplette Werkstatteinrichtung aus einer Betriebsauflösung zum Kauf angeboten wurde, schlugen wir zu und konnten so am 1. April 2010 zunächst daheim in Penzing in der ehemaligen Praxis unseres Vaters (Anm. d. Red.: Allgemeinmediziner Peter Reidl) starten. Vom Arbeitsamt haben wir eine Förderung bekommen. Wir haben klein angefangen und ganz wenig im Bestand gehabt: eine Bandage, einen Strumpf etc., und immer versucht, ein möglichst langfristiges Zahlungsziel auszuhandeln.
Johannes:

Seit August 2010 haben wir unser Geschäft in Landsberg. Es hat sich alles sehr gut ergeben, wir haben viel Glück gehabt und nie Angst, dass es nicht funktionieren könnte.

Welche Ziele und Wünsche habt Ihr?
Peter:

Wir wünschen uns, dass es so weitergeht wie bisher, wir sind glücklich. Nie haben wir uns gefragt: Hätten wir doch was anderes machen sollen? Aber etwas weniger Verwaltungsarbeit wäre schon schön. Jede Krankenkasse arbeitet anders, hat andere Verträge, der Verwaltungskram wird immer mehr, nimmt uns unheimlich viel Zeit weg.
Johannes:

Und wir wünschen uns etwas mehr Platz, wir müssten uns eigentlich vergrößern … aber im Ernst: Wir können Gutes tun und helfen, vielen Menschen das Leben leichter zu machen, diese Arbeit macht zufrieden und glücklich.

Ihr seht auch viele schwere Schicksale, zum Beispiel amputierte Patienten nach Unfällen oder Erkrankungen. Nimmt man da nicht jeden Tag etwas mit nach Hause?

Peter: 

Ja, man konstruiert oft die ganze Nacht – selbst im Traum. Es ist enorm viel Gedankenarbeit dabei. Das belastet mich aber nicht. Es ist eher wie ein Hobby.
Johannes:

Das stimmt, aber wir schaffen es trotzdem ganz gut, Abstand zu gewinnen und die Probleme unserer Kunden in der Firma zu lassen.

Gebt Ihr Euer Können und Wissen an Kinder und junge Menschen weiter?
Peter:

Das tun wir sehr gern. Wir haben neben unseren drei Vollzeitkräften und zwei bis drei Teilzeitkräften einen Lehrling und nehmen auch Praktikanten. Auch einen Handwerkspraktikanten der Landsberger Waldorfschule hatten wir schon.

Seid Ihr manchmal an Eurer alten Schule in Landsberg?
Johannes:

Die Verbindung bleibt immer bestehen, wir sind ja auch in der Nachbarschaft. Wir besuchen gerne die Märkte und Feste und genießen es, dort Freunde und Bekannte zu treffen. Sonst kommt man ja nicht so leicht zusammen.
Peter:

Es ist auch schön zu sehen, was aus unserer Schule geworden ist – von der Schondorfer Villa zu einem großen Waldorfschulgebäude!


Peter Reidl, Jahrgang 1977, lebt in Weilheim, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach der Mittleren Reife in der Waldorfschule Daglfing Ausbildung bei Maier & Weigand in Haar bei München, Abschluss der Ausbildung mit 1,0 und Kultuspreis der Landeshauptstadt München. Nebenberuflich Ausbildung zum technischen Fachwirt HWK, danach Meisterschule in Landshut. Anschließend angestellter Meister für Produktentwicklung und Schulungen im In- und Ausland bei Streifeneder ortho.production GmbH. Zusatzausbildung zum Betriebswirt HWK nebenberuflich. 2010 Gründung Reidl Orthopädietechnik in Landsberg.

Johannes Reidl, Jahrgang 1981, lebt in Penzing, ist verheiratet und hat ein Kind.
Nach der Mittleren Reife in der Waldorfschule Landsberg Ausbildung zum „Landwirtschaftlich Technischen Assistenten“, im Anschluss Zivildienst im Seniorenstift Kaufering. Ausbildung zum Orthopädietechniker bei Maier & Weigand in Haar, Abschluss der Ausbildung als Innungssieger und Kultuspreis der Landeshauptstadt München. Gesellenzeit in Augsburg bei der Firma Ganter. 2008 bis 2009 Meisterschule in Kaufbeuren und Landshut. Abgeschlossen als Jahrgangsbester mit Verleihung des Meisterpreises der bayerischen Staatsregierung und auszeichnet mit der „Goldenen Verdienstmedaille der Handwerkskammer für Niederbayern/Oberpfalz“. 2010 Gründung Reidl Orthopädietechnik in Penzing – jetzt Landsberg.

Schwerpunkte von Reidl Orthopädietechnik: Anfertigung von Prothesen, Orthesen, Bandagen, Kompressionsstrümpfen, Einlagen und Sportversorgungen.


Berufsbild Orthopädietechnik:
Orthopädietechnik-Mechaniker/innen versorgen Patienten mit orthopädietechnischen Hilfsmitteln. Sie stellen zum Beispiel künstliche Gliedmaßen, Schienen und Bandagen her oder montieren Gehhilfen und Rollstühle und passen sie an. Sie arbeiten in Orthopädietechnik- und Rehawerkstätten und in Sanitätshäusern. Die Ausbildung dauert drei Jahre und erfolgt in einem der folgenden Schwerpunkte: Individuelle Orthetik, Individuelle Rehabilitationstechnik oder Prothetik.


Text: Sibylle Reiter